Wer in München lebt, weiß um das rare Glück, in einem Altbau wohnen zu dürfen. So auch Andrea (40) aka @raumgestoeber , die hier mit ihrem Mann Stephan (38) und ihren zwei Kindern in einem 100-qm-Altbau aus den 1920er-Jahren lebt. In dem mit Feinsinn und Bedacht eingerichteten Zuhause ist ebenso das gemeinsame Innenarchitekturbüro untergebracht. Auch dafür hat die Familie die ehemals Drei-Zimmer- zu einer fast Fünf-Zimmer-Wohnung umgebaut. Nun hat jedes Kind seinen eigenen Raum. Im Fünften wird gearbeitet.
Ein Gespräch über den Traum, Familienleben und eigenes Büro unter einem Dach zu vereinen, über Reduzierung und Konzentration auf das Wesentliche und die Erkenntnis, dass man bei genauem Betrachten mit viel weniger auskommt, als man wirklich benötigt.
Andrea und Stephan wohnen nicht nur als Familie zusammen, sondern arbeiten auch in ihrem gemeinsamen Innenarchitekturbüro „raumgestöber“. „So können wir unserem Traum vom Familienleben in Kombination mit unserer Passion der guten Gestaltung ein Zuhause geben“, freut sich Andrea.
Liebe Andrea, wie würdest du euren Wohnstil in drei Worten beschreiben?
Gefühlvoll, ruhig, elegant.
Ihr verbindet Arbeiten und Wohnen in eurem Zuhause. War das schon immer euer Wunsch?
Diesen Traum vom Familienleben kombiniert mit unserem eigenen Büro hatten wir bereits nach unserem gemeinsamen Innenarchitekturstudium in Rosenheim. Doch wir wollten noch ein paar Jahre in Zürich leben und arbeiten, um danach in München unser Zuhause zu finden. Das war vor genau zehn Jahren.
Das Sofa hatten Andrea und Stephan damals in Zürich für ihre erste gemeinsame Wohnung gekauft, wobei sie bei der Stoffwahl skeptisch waren. Nun können sie sich ihr Familienleben ohne das Lieblingsstück kaum noch vorstellen. Der Occasional Table vor dem Sofa sowie der Schaukelstuhl sind von Vitra. Für Leselicht sorgt die AJ-Stehleuchte von Louis Poulsen hinter dem Sofa.
„Für uns sollte eine Wohnung bereits beim Betreten die Geschichte der Bewohner erzählen.“
Der Holzschreibtisch ist ein Erbstück.
Worauf legt ihr bei der Gestaltung eures Zuhauses Wert?
Wir benötigen bei all unserer kreativen Arbeit ein Zuhause, das klar strukturiert und geordnet ist, uns Freiraum zum Erholen und Durchatmen lässt und gleichzeitig eine Atmosphäre schafft, die von Gelebtem erzählt und Träumen ermöglicht.
Welche drei Dinge wissen wir noch nicht über euch?
1. Bei uns ist es Stephan, der in der Küche steht, denn er liebt es, gut zu kochen.
2. Unsere drei Pflanzen haben einen ähnlichen Dickkopf wie wir, denn es ist nicht leicht, bei uns als Pflanze zu überleben.
3. Nach stillem minutenlangen Betrachten der Speisekarte wählen wir grundsätzlich immer das gleiche Gericht aus.
„Unsere drei Pflanzen haben einen ähnlichen Dickkopf wie wir.“
Habt ihr berufsbedingt einen anderen Blick auf Dinge?
Wir betrachten das meiste ganz unbewusst mit einem Gestalterauge, hinterfragen, entwerfen und konstruieren oft in den wildesten Momenten, aber am liebsten mit einem Kaffee am Vormittag an unserem Bürotisch.
Ihr arbeitet und lebt an einem Ort. Was bedeutet es da für euch, „nach Hause“ zu kommen?
Unser Zuhause ist zum einen unser Rückzugsort, der uns wohlwollend aufnimmt, in dem wir auftanken können, der uns Energie gibt. Zum anderen wird hier gelacht, geweint und gefeiert – Freunde und Familie sind bei uns nicht nur willkommen, sie füllen unsere vier Wände mit ganz viel Leben.
Die kegelförmige Vintage-Leuchte von Glashütte Limburg bezeichnen Andrea und Stephan als den wohl kontroversesten Gegenstand in ihrer Wohnung. „Ich räume sie von Ecke zu Ecke, um die beste Position zu finden und Stephan doch noch von ihrer existenziellen Notwendigkeit zu überzeugen“, lacht Andrea.
Zu eurem Esstisch habt ihr eine besondere Beziehung ...
Zum Einzug haben wir viele Möbel von einem befreundeten Schreiner nach unseren Entwürfen anfertigen lassen. Für unseren Esstisch haben wir Eichenholz verwendet, das über 60 Jahre auf dem Dachboden des Bauernhofes von Stephans Großeltern lagerte. Wir lieben die ergraute Oberfläche, die sanfte Haptik des Holzes und den großen emotionalen Bezug zu unserer Familie.
Der Esstisch ist ein Eigenentwurf. Um ihn gesellen sich Stühle von Arper, Herman Miller und Thonet. Die Pendelleuchte ist von Prandina.
„Wir benötigen ein Zuhause, das von Gelebtem erzählt und Träumen ermöglicht.“
Andrea und Stephan begeistern sich für Möbel mit ausgeglichenen Proportionen: Dazu gehört nicht nur das Sofa, sondern auch ein schwarzes Stuhlgestell, das Andrea in den Straßen Frankfurts gefunden hat. Jetzt komplettiert dieses Gestell mit einem Fell den Arbeitsplatz im Wohnzimmer.
Was steht ganz oben auf eurem Interior-Wunschzettel?
Auf unserer Wishlist steht momentan nicht Kaufen, sondern Reduzieren. Wir möchten uns auf das Wesentliche konzentrieren und merken, dass man beim genauen Betrachten mit viel weniger auskommt, als man wirklich benötigt.
Blick vom Wohn- und Esszimmer in den Flur
In welchen Merkmalen eures Zuhauses erkennt ihr euch am deutlichsten wieder?
Für uns sollte eine Wohnung bereits beim Betreten die Geschichte der Bewohner erzählen. Unser Zuhause spiegelt unsere starken familiären Wurzeln durch unterschiedliche Erbstücke. Es zeigt aber auch, dass wir wahnsinnig gern und viel selbst machen oder, besser gesagt, wir beim Thema Gestaltung unseren eigenen Kopf haben.
Verändert ihr die Räume auch ab und zu?
Ja, ich habe eine Idee, die Stephan dann kurzer Hand umsetzen muss. Da wir sehr visuelle Menschen sind, ist aber eines ganz klar: Wir brauchen immer eine klare Struktur, die uns zur Ruhe kommen lässt.
Mit welchen Charaktereigenschaften würdet ihr euch selbst beschreiben?
Als Gestalter sind wir sehr feinfühlige Menschen, die die Dinge gern aus einer anderen Perspektive betrachten und die Welt dabei mit einem Augenzwinkern nicht zu ernst sehen. Auf der anderen Seite sind wir sehr fokussiert, haben einen hohen Anspruch an uns selbst und an gute Gestaltung und gehen die Dinge gern sehr durchdacht an.
Blick durch das Büro in eines der Kinderzimmer: Die neue Glaswand trennt beide Räume voneinander ab.
Habt ihr noch andere Leidenschaften neben dem Einrichten?
Eine gemeinsame Leidenschaft ist das Reisen. Wir sind wahnsinnig gern in der Welt unterwegs – egal ob Alpenvorland oder die Weite Patagoniens. Wir zeigen unseren Kindern gern die entlegensten Winkel, um uns dann aber auch wieder bewusst zu werden, mit welchen Privilegien wir hier in Deutschland leben dürfen.
Blick auf die verschneiten Berge Islands. „Jeder neu zu entdeckende Ort macht uns neugierig – egal ob eine kleine, privat vermietete Hütte im winterlichen Island mit Blick auf die Nordlichter oder der Schlafwagen auf dem Weg von Hanoi in die Berge von Vietnam, den wir uns mit etlichen Krabbeltieren teilen mussten“, sagt Andrea.