Acht Wochen Marokko: „Im Surfcamp habe ich gelernt, nicht mehr perfekt sein zu wollen und den Moment zu genießen.“

von Nicole

Manchmal muss man sich einfach einen Traum erfüllen: @Jennifer aus dem SoLebIch-Team ist Anfang des Jahres zu einem Abenteuer nach Taghazout an der marokkanischen Atlantikküste aufgebrochen, um den Schein zum Surflehrer zu machen. Letztendlich war der Trip dann ganz anders, als sie gedacht hat. Jeden Tag surfen, paddeln, Fitnessübungen – das Surf-Bootcamp war wahnsinnig anstrengend. Noch dazu wurde sie krank. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, was sie dort über sich und das Leben gelernt hat und ob sie es trotz des ganzen Stresses wieder tun würde.

   

Das kleine Fischerdorf Taghazout liegt im Süden Marokkos und ist bei Surfern sehr beliebt und der sehr bekannte Surfspot Anchor Point.

    

Liebe Jennifer, wo genau warst du in Marokko?
Ich war in Taghazout, einem kleinen Fischerdorf am Atlantik, das vor allem bei Surfern sehr beliebt ist.

Hast du uns Tipps mitgebracht?
Ja, klar! Ich war im Surf Berbere Camp, aber zum Wohnen würde ich das Amouage empfehlen. Eine Freundin von mir arbeitet dort als Yogalehrerin und wir haben uns dort am Infinity-Pool oft den Sonnenuntergang angesehen. Zehn Minuten zu Fuß entfernt liegt Anchor Point, ein sehr bekannter Surfspot in Marokko. Da kann man sich auf die Felsen setzen und den Surfern zusehen. Die besten Brownies meines Lebens hatte ich in der L’Auberge

Warum wolltest du diese Reise eigentlich machen?
Ich habe ein großes Freiheitsbedürfnis und bin einfach gerne unterwegs. Außerdem liebe ich es zu surfen. Also war der Plan, einen Schein zum Surflehrer zu machen, um irgendwann noch mal ein ganz anderes Leben auszuprobieren und in die Welt zu ziehen. Deswegen hatte ich eine Art Bootcamp gebucht, in dem ich mit 14 anderen Teilnehmern in drei Monaten das Level eines Surflehrers erreichen wollte.

      

Jennifer in Imsouane. Die Frühstücksterrasse. Mit den zwei Vans ist Jennifer mit den 14 anderen Teilnehmern des Kurses jeden Tag an den Strand zum Surfen gefahren - wenn sie nicht krank war.

  

Welche Erwartungen hattest du vor dem Start an den Trip – und wie war er dann tatsächlich?
Ich dachte, ich würde eine lockere Zeit haben, mich entspannen, surfen und nette Menschen kennenlernen. Dass es so anstrengend werden würde, hatte ich nicht erwartet. Wir alle sind an unsere Grenzen gestoßen. Ich habe noch nie so viel gelacht und geweint wie in diesen zwei Monaten.

Wie sah ein typischer Tag bei euch aus?
Um acht Uhr aufstehen, dann Frühstück, um neun sind wir zum Strand gefahren, um zu surfen, um vier zurückgekommen, danach noch Französisch- oder Arabisch-Stunden oder Theorieunterricht, dann Freizeit, Abendessen, und dann alles wieder von vorne. Donnerstagabend war Partyabend.

Na ja, das klingt aber nicht schlecht. Wir hatten hier Schnee und Regen.
Das stimmt natürlich. Man muss aber bedenken: Alle, die dort waren, haben ja auch einen normalen Job zu Hause und haben sich unbezahlten Urlaub genommen, um das machen zu können. Das heißt, die meisten waren urlaubsreif – aber von Erholung konnte man wirklich nicht sprechen.

Wie meinst du das?
Surfen an sich ist körperlich wirklich anstrengend. An einem Tag sollten wir vier Kilometer paddeln, danach hatten wir noch zwei Stunden Fitness in der Mittagssonne. Und dann ging im Camp Campylobacter um. Das ist eine Magen-Darm-Erkrankung, alle wurden krank, und mich hat es wirklich schlimm erwischt. Ich hatte zehn Tage Durchfall und Magenkrämpfe, danach war mir eine Woche lang übel. Danach wieder Durchfall. Und dazu dann der Sport. Das schlaucht.

   

Erschöpfte Surfer. Jennifers Surlehrer Maik aus Hamburg lebt seit ein paar Jahren in Marokko. 

   

Das klingt wirklich sehr anstrengend. Hast du überlegt abzubrechen?
Ja. Aber als ich an dem Punkt war, wurde es am nächsten Tag plötzlich besser. Obwohl es auch danach immer wieder echte Herausforderungen gab. Manche von uns hatten wirklich schlimme Verletzungen: Eine Teilnehmerin hat zwei Mal die Finne fast ins Auge gekriegt und hatte dann zwei Platzwunden neben den Augen. Sie hatte Glück, dass sie nicht blind geworden ist. Eine andere wurde von einem Petermännchen in den Fuß gestochen – das tut wirklich weh! Und dann ist noch jemand an unserem Strand gestorben und wir selbst hätten fast einen tödlichen Autounfall gehabt ...

Das klingt wirklich nicht nach purem Spaß. War es denn auch schön zwischendurch?
Natürlich! Sehr … Ich habe morgens direkt am Meer gefrühstückt. Sonne tut sowieso der Seele gut. Genauso, wie draußen auf dem Meer zu sein. Surfen ist wie Meditation für mich, ich kann komplett abschalten – wenn ich nicht gerade Panik habe, dass ich gegen riesige Wellen ankämpfen muss. Aber zwischendrin sitzt man ja auch mal draußen auf dem Brett, schaut auf den Horizont und wartet auf eine gute Welle. Und neben dir nur Gleichgesinnte. Das Beste an dem Trip waren definitiv die tollen und sehr besonderen Menschen, die ich dort kennengelernt habe. Ich hatte bei manchen das Gefühl, sie verstehen mich besser, als so manch guter Freund von mir. Wenn du so einen Trip machst, hast du eine ähnliche Einstellung zum Leben.

Was für Menschen treffen dort aufeinander?
Wir waren ein bunter Mix, alle waren zwischen 18 und 40 Jahre alt, kamen aus England, den USA, Neuseeland, Frankreich, Holland und Deutschland. Jeder der 15 Teilnehmer in unserem Kurs hatte einen anderen Grund, warum er da war. Mel, meine Mitbewohnerin, ist Journalistin bei der BBC in London. Sie hatte die letzte Zeit nur gearbeitet und brauchte dringend mal eine Auszeit. Petra, deren Vater gerade gestorben war, wollte auch einfach mal raus und abschalten. Und Justine wollte ihren Eltern beweisen, dass sie dort bestehen kann. Die Männer dort haben das alle eher locker genommen (lacht).

   

In Taghazout hat man von überall Blick auf das Meer, die Wellen und die Sonne. Allerdings war es kälter als erhofft.

      

Warum waren die Männer entspannter als die Frauen?
Ich glaube, Frauen haben einen höheren Perfektionsanspruch. Wir waren fünf Frauen und haben uns wirklich gestresst – wir wollten unbedingt den Test bestehen. Ich selbst war irgendwann total verkrampft, weil ich so lange krank war und daher nur wenig Fortschritte gemacht hatte. An einem Tag hatte ich dann ein Schlüsselerlebnis: Ich war in Imsouane, einem der besten Surfspots Marokkos, die Sonne schien, und die Wellen waren super. Aber ich hatte keinen Spaß, weil ich mich die ganze Zeit über die Fehler aufgeregt habe, die ich auf dem Brett machte.

Sich selbst Druck zu machen ist so unnötig, und trotzdem machen wir das ständig.
Absolut! Es war absurd: Ich hatte die Reise gemacht, um mir einen Traum zu erfüllen. Und dann ging es wieder nur darum, abzuliefern und Erwartungen zu erfüllen – und zwar meine eigenen. In Imsouane ist mir das plötzlich aufgefallen. Und ich habe mir gesagt: Genieß endlich mal den Moment und das Glück, hier sein zu können!

Das ist die richtige Einstellung! Und was hat das bewirkt?
Mir war es plötzlich egal, ob ich am Ende bestehe. Ab dem Zeitpunkt war ich wirklich gut drauf und konnte alles genießen.

     

     

Hast du noch etwas fürs Leben gelernt, das du mit uns teilen magst?
Dass mein Körper mir ziemlich genau sagt, was er braucht. Als Kind hört man auf die Signale des Körpers, aber man verlernt es irgendwann. Dort im Camp habe ich jeden Tag in mich hineingehorcht. Will ich heute wirklich Sport machen oder bin ich zu geschwächt von der Krankheit? Welches Essen braucht mein Körper? Welche Menschen und Gespräche tun mir gut, welche nicht? Welches Leben passt wirklich zu mir, ganz unabhängig davon, was irgendjemand von mir erwartet?

Bist du glücklich, dass du diese Reise gemacht hast?
Absolut! Obwohl alles anders gelaufen ist als gedacht. Deswegen mache ich gerade auch keine Pläne mehr, es kommt ja eh immer alles anders (lacht). Während man Pläne macht und ans Ziel denkt, passiert das Leben. Als ich meine Vorstellung und alle Erwartungen an den Trip losgelassen habe, konnte ich endlich das Positive sehen und genießen. Und auch für alles, was nicht so gut war, bin ich dankbar. Weil ich dadurch sehr viel über mich gelernt habe, viele Fragen geklärt habe und mir dadurch nähergekommen bin. Ich habe das Gefühl, ich weiß jetzt besser, was ich im Leben brauche. Dazu habe ich noch tolle Menschen getroffen, manche davon sind schon jetzt zu Freunden geworden. Dass ich meine Mitbewohnerin Mel kennengelernt habe, darüber bin ich wirklich glücklich! Ich kann mit ihr über alles reden. Und ich habe mit ihr so viel gelacht wie nie zuvor.

   

Jennifer (2.v.l.) sagt über die anderen Teilnehmer ihres Surfkurses: "Ich hatte bei manchen das Gefühl, sie verstehen mich besser, als so manch guter Freund von mir. Wenn du so einen Trip machst, hast du eine ähnliche Einstellung zum Leben."

    

Liebe Jennifer, vielen Dank für das offene Interview.

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